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Chinesische Touristen wollen anders bezahlen

Aktualisiert: 8. Jan. 2021

Dr. Daniel Fasnacht

Bankmagazin, Springer Professional, Ausgabe 12/2019, Dezember 2019

Print ISSN: 0944-3223; Elektronische ISSN: 2192-8770; DOI: doi.org/10.1007/s35127-019-0178-9

Chinesische Touristen helfen, disruptive Geschäftsmodelle schleichend in Europa einzuführen. Technologie-Giganten haben Ökosysteme aufgebaut, die Zahlungsdienstleistungen abwickeln und dabei einen profitablen Geschäftsbereich von Banken durchbrechen.




Die Zukunft von Finanzdienstleistungen ist digital, mobil und global. Verbraucher wollen alles sofort und überall auf der Welt tun können, ohne sich um den Zugriff auf eine Bank kümmern zu müssen. Marktführer wie Alipay und WeChat Pay – beide haben zwischen 700 und 900 Million Nutzer – sind Lehrbuchbeispiele disruptiver Geschäftsmodelle junger innovativer Zahlungsdienstleistungsanbieter, die in Ökosysteme großer chinesischer Handels-Plattformen und Soziale Medien wie Alibaba, respektive Tencent eingebettet sind.

Die Innovationen in den Bereichen mobiler Zahlungsverkehr gehen einher mit Open-Banking-Strategien, was eigentlich nichts anderes bedeutet, als die Kundenschnittstelle zu öffnen und für Drittapplikationen zugänglich zu machen. Dabei wird mittels Anwendungs-Programmierschnittstellen, sogenannter API’s (Application Programming Interface), die Wertschöpfung über Unternehmensgrenzen hinweg sichergestellt. In einer digitalen Welt ist Open Banking ein wichtiger Grundsatz für Partnerschaften. Was einerseits neue Konstellationen der Zusammenarbeit fördert, greift andererseits autarke nach außen verschlossene Geschäftsmodelle an. Dazu zählen Banken, welche Basisleistungen wie Kontoführung, Wechselkurs-Transaktionen, Zahlungsverkehr und Kreditkarten über Jahrzehnte als wichtige Ertragspfeiler führen.

Die erweiterte EU Richtlinie PSD2 (Payment Services Directive) begünstigt die Auflösung traditioneller Geschäftsmodelle, weil damit der Zahlungsverkehr dahingehend geregelt wird, dass neue Dienstleister (Nicht-Banken) Zugang zu Bankkonten und -depots erhalten. Das Zugriffsrecht Dritter via API’s zu gewähren, ist seit dem 14. September 2019 in Kraft. Gemäß der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) muss jetzt jede Bank die Verfügbarkeit ihrer Schnittstellen nach außen hin offiziell kommunizieren. Das Privileg der Banken ist dadurch aufgelöst. Mit der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erhalten Bürgerinnen und Bürger gleichzeitig mehr Kontrolle über ihre Personendaten, und Unternehmen werden vermehrt in die Verantwortung genommen. Es scheint, als werde der Datenschutz durch PSD2 gelockert und durch DSGVO gestärkt. In Sachen Datenschutz ist Europa ein Vorbild, allerdings kann dies im globalen Wettbewerb auch ein Nachteil sein.

Technologien aus dem Ausland greifen an

Bis zur Jahrtausendwende existierte kein Internet und bis 2010 gab es praktisch keine Smartphones in China. Heute zählt das Land mehr Internetbenutzer als die USA und Europa zusammen, wobei 95 Prozent mit mobilen Geräten auf das Internet zugreifen (EU 79 Prozent).[i] Der Alltag wird mit dem Smartphone bewältigt und das digitale Bezahlen per Smartphone und QR-Code ist innerhalb weniger Jahre zum Standard geworden. Viele Chinesen erhalten sogar ihr Gehalt über mobile Apps, und Unternehmen leihen darüber Geld oder legen es an. Bargeld, Kreditkarten und Geldautomaten werden immer weniger benutzt. Die junge Generation steht Datensicherheit und Vertraulichkeit weniger kritisch gegenüber und unterstützt den Datenaustausch mit Drittanbietern, weil dadurch Zeit und Kosten gespart werden können. All dies ist in Deutschland undenkbar. Nicht nur aufgrund Datenschutzüberlegungen, sondern auch wegen der Kosten. Zudem gibt es schlicht keine flächendeckende Lösung, die in allen Vertriebskanälen funktioniert.

Touristen ändern Geschäftsmodelle

2018 gaben 160 Millionen chinesische Touristen mehr als 300 Milliarden US-Dollar aus und bis 2030 werden ein Viertel aller Touristen aus China kommen.[ii] Beliebteste Destinationen in den letzten Jahren waren Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien. Ein Drittel der Reiseausgaben sind Einkäufe. Dabei nutzen sie am liebsten elektronische Zahlungssysteme, die ihnen vertraut sind.

Vom 15. Juli bis 15. August 2019 lief eine Sommer Kampagne von Alipay, wobei weltweit 30 Millionen chinesische Touristen in dieser Zeit 26 Milliarden US-Dollar ausgaben. Die Marketingkampagne zielte unter anderem auf Partnerschaften mit Händlern in 29 europäischen Ländern. Durch verschiedene Werbeformate konnten Händler chinesische Kunden ansprechen und Mitgliedschaften, Geschenkpakete und Vergünstigungen anbieten, im Gegenzug zur Zahlungsabwicklung über die Alipay-App. Die Touristen wurden bereits vor Ihrer Abreise gezielt über die Angebote der europäischen Partner über alle Kanäle des Alibaba-Ökosystems informiert. Zusammen mit dem Händlernetz konnte Alipay 80 Prozent aller chinesischen Touristen online und offline bedienen.

Disruptive Geschäftsmodelle werden derzeit von chinesischen Touristen in Europa eingeführt

Globale Zahlungssysteme und Angebote für spezifische Finanzdienstleistungen sind stark miteinander verflochten. Für Banken, Zahlungsdienstleister, Hotels, Transportunternehmen und Einzelhändler – eigentlich für alle, die Geschäfte mit chinesischen Touristen machen möchten – sind mobile Zahlungsmöglichkeiten eine Notwendigkeit im Geschäftsprozess. Westliche Zahlungsanbieter müssen die Interoperabilität mit den QR-Code-Formaten diverser Firmen sicherstellen. Denn nur diejenigen, welche chinesischen Kunden ermöglichen, QR-Codes zu scannen und zu verarbeiten, haben die Chance, am geschätzten 1‘000 Milliarden Euro-Markt für mobile Zahlungen mitzuwirken.

Vom Trend profitieren

In den letzten zwei Jahren haben chinesische Fintechs unsere traditionellen Zahlungssysteme durch ihre aggressiven Partnerstrategien mit westlichen Unternehmen aufgelöst. So ging Concardis, einer der führenden Zahlungssystem-Anbieter in Europa und größter Kreditkartenakquisiteur in Deutschland bereits 2016 eine Partnerschaft mit Alipay ein. Mit der gemeinsam entwickelten Lösung können chinesische Touristen bedient werden, indem eine Software einfach in die Zahlungs-Terminals der Partner-Händler von Concardis integriert wird. Der Kunde nutzt seine gewohnte Alipay App und scannt bei der Bezahlung den QR-Code. Das Bezahlen auf Reisen wird für chinesische Touristen genauso einfach wie daheim, und es fallen keinerlei Wechselkursgebühren an. Auch die auf Zahlungssysteme spezialisierte Sparte des Schweizer Börsenbetreibers SIX ermöglicht seit 2017 Kunden die Bezahlung an SIX-Terminals und im Onlinehandel mit Alipay.

Im Januar 2019 hat Alipay zudem eine Lizenz für elektronisches Geld in Luxemburg erhalten, welche für den gesamten EU-Raum gilt. Unternehmen mit einer solchen E-Geld-Lizenz können im Auftrag des Kunden auf deren Bankkonti zugreifen und Überweisungen ausführen. Mit dieser Lizenz ist der Bezahldienst nicht wie bis anhin Chinesen mit einem Bankkonto in China vorbehalten, sondern kann auch europäischen Konsumenten angeboten werden. Obwohl Alipay offiziell das Angebot in Europa nur auf chinesische Touristen ausrichtet, kann das Unternehmen bei Bedarf eine aktivere Rolle einnehmen, als nur gerade jene des passiven Zahlungsvermittlers. Wir gehen davon aus, dass das Partnernetzwerk von Alipay in den nächsten Jahren weiter rasant wachsen wird. Jüngste Beispiele sind Global Blue für Mehrwertsteuer-Rückerstattungen in Echtzeit zugunsten digitaler Geldbörsen von Alipay oder die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Fußballverband (UEFA), wo Alipay von 2018 bis 2026 der offizielle globale Anbieter von elektronischem Geld ist und dazu beitragen soll, das Zuschauererlebnis durch bargeldlose Stadien zu verbessern.

Auch die englische Barclaycard, die rund die Hälfte der britischen Kredit- und Debitkarten-Transaktionen abwickelt, hat kürzlich eine strategische Zusammenarbeit mit Alipay verlängert, die es über 11‘000 Einzelhändlern im ganzen Land ermöglicht, QR-Codes der chinesischen Zahlungs-App an Kassenterminals zu akzeptieren. Und dies ohne bestehende Zahlungsterminals zu ersetzen – also ohne Zusatzkosten. Wieso öffnet sich Barclays gegenüber einer Fintech-Firma, die den Bankensektor eigentlich bedroht? Ganz einfach: Der Schritt geht auf Statistiken von VisitBritain zurück, das für 2019 beinahe 500‘000 Besucher aus China erwartet, ein Plus von über 40 Prozent gegenüber 2017. Diese Touristen werden allein in Großbritannien in diesem Jahr mehr als 1 Milliarde Pfund ausgeben.

Verteilte Wertschöpfungslogik

Um möglichst viele Transaktionen pro Sekunde in Echtzeit zu verarbeiten, müssen Banken, die diese Kapazität nicht haben, Teile des Zahlungsverkehrs an Technologie-Spezialisten abgeben. Die Verteilung der Wertschöpfung ermöglicht es, Kunden ein Angebot zu unterbreiten, welches über die Transaktionsverarbeitung hinausgeht und zusätzliche Einnahmequellen generiert. Chinesische Tech-Firmen verstehen es gut traditionelle und digitale Unternehmen zu verknüpfen und diverse Unternehmen in ihr Ökosystem zu integrieren. Über digitale Plattformen können so alle Branchen bedient werden. Wie weit Transparenz, Datenaustausch und Zusammenarbeit gehen sieht man daran, dass in der WeChat Super-App sogar die Bezahlfunktion des Konkurrenten Alipay genutzt werden kann.

Die neuen Anbieter auf dem Payment-Markt operieren in branchenübergreifenden Ökosysteme

Handeln bevor es zu spät ist

Mit zunehmender Marktmacht von Konkurrenten aus China haben Finanzdienstleister als Einzelkämpfer immer weniger Einfluss. Europäische Großkonzerne, sowie mittelständische und Kleinunternehmen müssen sich öffnen und die Fähigkeit entwickeln von Asien zu lernen. Für viele gibt es allerdings kaum eine Möglichkeit, eine führende Rolle in einem branchenübergreifenden Ökosystem einzunehmen. Sie müssen sich daher noch mehr auf ihre Kernkompetenzen fokussieren, um einen Mehrwert zu bieten und als Lieferant und Nischenanbieter ernst genommen zu werden. Denn in Zukunft wird die Konkurrenz nicht mehr zwischen einzelnen Konzernen stattfinden, sondern zwischen globalen Ökosystemen.

„Der Mensch für sich allein vermag gar wenig und ist ein verlassener Robinson, nur in der Gemeinschaft mit den anderen ist und vermag er viel“ [Arthur Schopenhauer]

[i] McKinsey (2017) China’s Digital Economy A Leading Global Force, McKinsey Global Institute, August 2017

[ii] China Outbound Tourism Research Institute (2019) COTRI Market Report, Spring 2019.

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